Schätzungsmethoden im Rahmen der Betriebsprüfung

Auswahl der Schätzmethode

Welche Schätzungsmethode anzuwenden ist, hängt vom Einzelfall ab. Nach pflichtgemäßem Ermessen ist der Weg zu wählen, der anhand möglichst vieler, genau
ermittelbarer Schätzungsgrundlagen der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt.
Schätzungen, die methodisch auf einer zahlenmäßigen Auswertung der Verhältnisse
des betreffenden Betriebs beruhen, haben i. d. R. Vorrang gegenüber denen auf
der Grundlage eines äußeren Betriebsvergleichs, da die Vergleichbarkeit nicht
allenthalben gewährleistet ist und die näheren Umstände dem Steuerpflichtigen
nicht bekannt gegeben werden dürfen.

 

Die Schätzungsmethode muss geeignet sein, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen ( BFH, Urt. v. 24.11.1988, BFH/NV 1989 S. 416).
Das Finanzamt ist grundsätzlich nicht verpflichtet, das auf Grund der von ihm
gewählten Schätzungsmethode erzielte Ergebnis noch durch die Anwendung einer
weiteren Schätzungsmethode zu überprüfen oder zu untermauern ( BFH,
Beschluss v. 03.09.1998, BFH/NV 1999 S. 290
). Stellt der Kläger mithin
Beweisanträge, um eine vom FA im Wege des inneren Betriebsvergleichs
(Nachkalkulation) vorgenommene Schätzung der Betriebseinnahmen zu
widerlegen,
und erhebt das FG die angebotenen Beweise nicht, weil es seine
Entscheidung auf einen äußeren Betriebsvergleich (Anwendung der Richtsätze)
stützt, verletzt es nach Ansicht des BFH (Beschluss vom 18.10.2011, X B
65/11
, BFH/NV 2012 S. 252) seine Pflicht zur Sachaufklärung jedenfalls
nicht unter dem Gesichtspunkt einer Nichterhebung der angebotenen Beweise, da
diese auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung unerheblich
waren.

Eine unrichtige Bezeichnung der Schätzungsmethode ist unschädlich ( BFH, Urt. v. 26.10.1994, BFH/NV 1995 S. 373). Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch auf
die Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode ( BFH, Beschl. v. 03.09.1998, BFH/NV 1999 S. 290). Wird im Verlaufe eines Rechtsbehelfsverfahrens ein Wechsel oder eine Abwandlung in der Schätzungsmethode vorgenommen, ist es nicht erforderlich, dies den Beteiligten vorher mitzuteilen, wenn der Wechsel oder die Abwandlung erwartet werden kann.
Ist jedoch mit dem Wechsel der Schätzungsmethode die Einführung eines neuen
Tatsachenstoffes verbunden, werden im Allgemeinen die Beteiligten hierzu gehört
werden müssen ( BFH, Urt. v. 02.02.1982, BStBl 1982 II S. 409; vgl. BFH,
Beschluss v. 12.06.1990, BFH/NV 1991 S. 459
). Dies gilt beispielsweise,
wenn die Schätzung bisher auf innerbetrieblichen Zahlen beruhte, wegen deren
Verwerfung sich aber nunmehr auf den äußeren Betriebsvergleich gestützt werden
soll.

Die Nachkalkulation

Eine Nachkalkulation kann den Nachweis erbringen, dass ein formell ordnungsmäßig ermitteltes Buchführungsergebnis unrichtig ist ( BFH, Urt. v. 17.11.1981, BStBl 1982 II
S. 430
; BFH, Beschl. v. 09.05.1996, BFH/NV 1996 S. 747). Wenn die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung versagt worden ist, bedarf es keiner weiteren
Bestätigung einer Nachkalkulation durch eine Geldverkehrs- oder
Vermögenszuwachsrechnung ( BFH, Beschl. v. 03.09.1998, BFH/NV 1999 S. 290).
Je genauer die Nachkalkulation ist, umso höher ist ihr Aussagewert für die
Beurteilung, ob die festgestellte Abweichung im Verhältnis zum ausgewiesenen
Umsatz als wesentlich anzusehen ist ( BFH, Urt. v. 17.11.1981, BStBl 1982 II
S. 430
).

Bei geringfügigen Abweichungen muss in Betracht gezogen werden, dass Schätzungsunschärfen vorliegen ( BFH, Urt. v. 26.04.1983, BStBl 1983 II S. 618). Es
entspricht den Grundsätzen einer Umsatz- und Gewinnschätzung, den erhöhten
Umsatz als Mehrgewinn anzusetzen, da davon auszugehen ist, dass die tatsächlich
entstandenen Ausgaben bereits in den Steuererklärungen berücksichtigt sind ( BFH,
Urt. v. 30.11.1989, BFH/NV 1991 S. 356
).

Da sich der Umsatz auf eine Mehrzahl von Warengattungen mit unterschiedlichen Nutzenspannen erstreckt, erfordert eine kalkulationsmäßige Schätzung des wirtschaftlichen Umsatzes im Interesse einer möglichst genauen Berechnung, den Wareneinsatz, d.h. den Wareneingang (unter Berücksichtigung von Rücksendungen) sowie die Bestände am Anfang und Ende des Wirtschaftsjahres nach den verschiedenen Brutto-Aufschlagsgruppen aufzugliedern ( BFH, Urt. v. 31.07.1974, BStBl 1975 II S. 96). Je differenzierter dies entsprechend den Besonderheiten des
Betriebs erfolgt, umso genauer wird die Berechnung des Umsatzes. Diese
Aufgliederung kann vom Steuerpflichtigen nicht von vornherein verlangt werden,
da sie gesetzlich nicht vorgeschrieben ist ( BFH, Beschluss v. 09.11.1955,
BStBl 1955 III S. 383
).

Der Steuerpflichtige ist nicht gehalten, eine derartige kalkulationsmäßige Berechnung selbst zu erstellen. Er ist jedoch verpflichtet, gezielte Fragen, z. B. nach den
Einzelverkaufspreisen, zu beantworten und weitere sachdienliche Unterlagen
vorzulegen. Sachliche Buchführungsmängel und ungenügende Mitwirkung des
Steuerpflichtigen mindern die Genauigkeitsanforderungen an eine
kalkulationsmäßige Schätzung ( BFH, Urt. v. 17.11.1981, BStBl 1982 II S. 430;
BFH, Urt. v. 15.02.1989, BStBl 1989 II S. 462).

Dem Steuerpflichtigen sind die Grundlagen der kalkulationsmäßigen Berechnungen nachvollziehbar offen zu legen (vgl. § 364 AO; BFH, Urt. v. 31.07.1974, BStBl 1975 II S. 96; BFH, Urt. v. 18.10.1983, BStBl 1984 II S. 88). Gelingt es dem
Steuerpflichtigen nicht, befriedigende Aufschlüsse zu geben, besteht die
Vermutung, dass Warenbestände nicht erfasst bzw. unterbewertet wurden und/oder
die Einnahmen nicht in vollem Umfange gebucht worden sind. Eine solche
Schlussfolgerung kann nach Lage des Falles auch dann gerechtfertigt sein, wenn
die auf Nachkalkulationen beruhende Erhöhung von Umsatz und Gewinn unter 10 v.
H. liegt ( BFH, Urt. v. 18.03.1964, BStBl 1964 III S. 381).

Die  Vermögenszuwachsrechnung

Bei einer formell ordnungsmäßigen Buchführung rechtfertigt ein ungeklärter Vermögenszuwachs die Annahme, dass höhere Betriebseinnahmen erzielt und höhere Privatentnahmen getätigt als verbucht wurden. Wird mit einer dem Einzelfall angepassten Vermögenszuwachsrechnung ein ungeklärter Vermögenszuwachs aufgedeckt, so trägt der Steuerpflichtige die objektive Beweislast für die Herkunft des Geldes ( BFH, Beschl. v. 07.11.1990, BFH/NV 1991 S. 724; BFH, Beschl. v. 02.07.1999, 1999 S. 1450).
Eine Vermögenszuwachsrechnung ist nicht nur ein Verprobungsmittel, sondern auch
eine geeignete Schätzungsgrundlage ( BFH, Urt. v. 28.05.1986, BStBl 1986 II
S. 732
). Sie kann auch zur Bestätigung kalkulationsmäßiger Berechnungen von
Umsatz und Gewinn dienen. Die Unrichtigkeit des durch die Buchführung
ausgewiesenen Ergebnisses kann allerdings nur dann durch eine
Gesamtvermögensvergleichsrechnung bzw. Gesamtgeldverkehrsrechnung bewiesen
werden, wenn das buchmäßige Ergebnis dadurch widerlegt wird, nicht aber, wenn
der Fehlbetrag anderen Einkunftsarten, beispielsweise aus Kapitalvermögen,
zuzurechnen ist ( BFH, Urt. v. 08.11.1989, BStBl 1990 II S. 268).

Die Geldverkehrsrechnung

Die Geldverkehrsrechnung ist eine Schätzungsmethode, die – richtig angewandt – so zuverlässig ist, dass sie die Beweiskraft einer formell ordnungsmäßigen Buchführung widerlegen und in Höhe der errechneten Fehlbeträge nicht verbuchte Betriebseinnahmen nachweisen kann ( BFH, Urt. v. 08.09.1994, BFH/NV 1995 S. 573).

Nur wenn die zur Verfügung stehenden ungebundenen Mittel unterhalb des Regelsatzes für Sozialhilfe liegen, ist die Schätzungsbefugnis – bei ansonsten ordnungsgemäßen Aufzeichnungen – gegeben (FG Saarland, Gerichtsbescheid v. 25.02.2008 1-K-2037/04; EFG 2008, 1507).

Die auf Einnahmen- und Ausgabenvorgänge ausgerichtete Gesamtgeldverkehrsrechnung ist eine Abwandlung der Vermögenszuwachsrechnung ( BFH, Urt. v. 02.03.1982, BStBl 1984 II S. 504; BFH, Urt. v. 08.11.1989, BStBl 1990 II S. 268).

Eine Teilgeldverkehrsrechnung kann sich auf den betrieblichen oder den privaten Bereich beschränken. Sie ist vom BFH ebenfalls als Verprobungs- und Schätzungsmethode anerkannt ( BFH, Urt. v. 20.09.1989, BStBl 1990 II S. 109; BFH, Urt. v. 08.11.1989, BStBl 1989 II S. 268; BFH, Urt. v. 24.11.1988, BFH/NV 1989 S. 416).

Die einfachste Form der Teilgeldverkehrsrechnung ist die Ausgaben-Deckungsrechnung . Dabei werden die tatsächlich geleisteten Barausgaben den Beträgen gegenübergestellt, die dem Steuerpflichtigen durch Barabhebungen zur Begleichung dieser Ausgaben zur Verfügung standen. Auch diese Methode ist generell geeignet, ungeklärte Einnahmen aufzudecken ( BFH, Urt. v. 25.07.1991, BFH/NV 1991 S. 796).

Die Richtsatzschätzung

Das Unterschreiten des untersten Rohgewinnsatzes (Aufschlagsatz) der Richtsatzsammlung rechtfertigt bei formell ordnungsmäßiger Buchführung eine Schätzung nur dann, wenn der Prüfer zusätzlich konkrete Hinweise auf die sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses hat, etwa ungeklärten Privatverbrauch, oder der Steuerpflichtige selbst Unredlichkeiten zugesteht ( BFH, Urt. v. 18.10.1983,
BStBl 1984 II S. 88
; BFH, Beschluss v. 09.05.1996, BFH/NV 1996 S. 747).
Wenn

  • die Buchführung sachlich mangelhaft ist,
  • die für eine Nachkalkulation benötigten Unterlagen fehlen,
  • eine Vermögenszuwachsrechnung Zweifel weckt,

kommt eine ergänzende
Schätzung unter Berücksichtigung der Richtsätze in Betracht ( BFH, Urt. v.
12.09.1990, BFH/NV 1991 S. 573
); aber auch eine Reingewinnschätzung ( BFH,
Urt. v. 17.05.1990, BFH/NV 1991 S. 646
). Das bloße Unterschreiten auch des
untersten Rohgewinn-Richtsatzes rechtfertigt für sich alleine noch kein
Schätzung, wenn die Buchführung formell ordnungsgemäß ist ( BFH Urt. v.
18.09.1974, I R 94/72
)

Sind sowohl Umsatz wie Reingewinn richtsatzmäßig zu schätzen,
wird zuerst der mutmaßliche Umsatz errechnet. Grundlagen hierfür bilden:

  • beim Handelsbetrieb der normalisierte Wareneinsatz
  • beim Handwerksbetrieb und gemischten Betrieb der normalisierte
    Waren-, Material- und Fertigungslohneinsatz
  • beim Dienstleistungsbetrieb die Summe aller normalisierten
    Betriebsausgaben.

Die Richtsätze
beruhen auf Gewinnermittlungen durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1
EStG
). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Gewinn eines Steuerpflichtigen,
der sich bisher zulässigerweise der Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG)
bediente, nach den Grundsätzen der Betriebsvermögensvergleichsrechnung zu
schätzen ist. Vielmehr hat der Steuerpflichtige in diesem Falle einen Anspruch
darauf, dass der Gewinn – u. U. in Anlehnung an die Richtsätze – in
Geldrechnung geschätzt wird ( BFH, Urt. v. 02.03.1982, BStBl 1984 II S. 504).

Die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 EStG muss im Regelfall – auf das
Ganze und auf Dauer gesehen – zu demselben Ergebnis führen. Die
unterschiedliche Zulässigkeit, gewillkürtes Betriebsvermögen zu bilden, und die
Besonderheiten des Zu- und Abflussprinzips bei § 4 Abs. 3 EStG müssen berücksichtigt
werden. Sofern sie sich nicht auswirken, kann das Finanzamt seine Schätzung auf
Richtsätze stützen, auch wenn der Steuerpflichtige seinen Gewinn nach § 4
Abs. 3 EStG
ermittelt ( BFH, Urt. v. 15.04.1999, BStBl 1999 II S. 481).